Einen Monat war ich da. Einen Monat, in dem ich Zeit hatte, mich in meine Stelle einzuarbeiten, alle unmittelbar wichtigen Leute kennen zu lernen und mich im Büroklima langsam wohlzufühlen. Ein Monat – und dann kam sie. Eine neue Chefin. Nicht, dass eine der alten gegangen wäre; einfach eine „zusätzliche“ Chefin, die etwas über unserer Teamleitung steht und auf Augenhöhe mit der Abteilungsleitung sein soll.
Damit hätte ich ja an und für sich kein Problem.
Wenn… wenn nicht diese Neue rechthaberisch, schnippisch und misstrauisch wäre.
Rechthaberisch:
She: Das steht da aber so und so! – Me: Äh, nein, ich glaube, das steht da so… – She: Nein, das steht da so und so. – Me: verunsichert Okay, dann hab ich das falsch im Kopf. schaue nach, wie es wirklich da steht: Meine Version.
Me: Was ist denn „Trouble-Shooting“? irgendwas mit Problem…lösung? vorbeugung? KP? – She: Das ist doch ganz klar, kennst du das nicht? Problemlösung. – Me: scherzhaft Immer diese Anglizismen! – She: Vielleicht solltest du mal Englisch lernen. Außerdem ist das doch kein Anglizismus! – Me: Sicher ist das ein Anglizismus. – She: Nein, das ist so gebräuchlich, ich glaube das steht mittlerweile sogar im Duden! – Me: Es ist trotzdem ein Anglizismus: Ein Wort aus dem Englischen, auch wenn man es bei uns gebraucht. – She: mit Nachdruck Nein. – Me: weil ich merke, dass wir uns in eine völlig belanglose Sache versteigen Ist ja auch egal, darum geht es ja gar nicht.
… Sollte nicht der Vorgesetzte derjenige sein, der auf eine solche Ebene abstrahiert? …
Schnippisch:
Siehe oben. „Vielleicht solltest du mal Englisch lernen“ Ernsthaft? Ich habe Abitur. Ich habe studiert. Ich habe SPRACH- und Textwissenschaften studiert. Zwar nicht mit Englisch als Schwerpunkt, aber dennoch. Und sie sagt mir, ich solle Englisch lernen, weil mir der Begriff „Trouble-Shooting“ bisher noch nicht untergekommen war? Tut mir ja Leid, dass ich nicht Wirtschaft studiert habe. (Das ist eine Lüge.) Und sorry, dass ich noch den naiven Mut besitze, zu glauben, dass man bei so etwas lieber nochmal nachfragt, als es unter den Tisch zu kehren und sich durch zu wurschteln. (Das meine ich nicht ernst.) Wenn sie gesagt hätte, dass ich mir vielleicht mal ein paar Begriffe Business-Englisch raussuchen soll, dann gut.
Aber ich soll Englisch lernen…
Vorab: Meine Teamleitung ist sehr nett, ruhig, erfahren, hat immer ein Lächeln auf den Lippen (das auch manchmal versteckt, dass es ihr schlecht geht). Jemand, den ich manchmal gerne umarmen möchte. Eine Chefin, wie man sie sich wünschen kann.
She: abfällig I-Net? Was soll das denn sein? – Meine TL: ganz lieb Ach so. Internet. Das hab ich so abgekürzt. – She: abfällig Wer kürzt das denn so ab?
… Ich kürze das auch so ab. Genauso wie ich irgendwann als iwann und irgendwer als iwer abkürze. Aber in dem Fall hat es meine liebe TL getroffen. Die Gute trifft da in letzter Zeit auch so einiges.
Misstrauisch:
„Ich vertraue euch doch! Sag mal merkt ihr das nicht?“ Hm. Ehrlich gesagt – nein. … Nach dieser Aussage, die (soweit ich ihre Tonlage mittlerweile einschätzen kann) ernst gemeint war, zweifle ich tatsächlich daran, wie sehr sie misstrauisch ist. Sicher, sie hat ihre Augen und Ohren öfters überall. Aber gewissermaßen ist das ihr Job, besonders, weil sie „vom Fach“ stammt und den Auftrag bekommen hat, gezielt die Abläufe in unserer Abteilung zu analysieren und gegebenenfalls zu verbessern. Alles, was an die oberste Chefin gehen soll, muss in irgendeiner (formal sehr korrekten) Form erst einmal zu ihr wandern. Erst, wenn sie freigibt, gehen Dokumente weiter an diese Chefin.
Aber auch hier zugegeben: Das ist gewissermaßen ihr Job. Ich habe mich an der bisherigen Art orientiert, nachdem ich selbst noch nicht lange da war. Sie möchte alles formeller, korrekter. Ist für mich kaum ein Problem, nur der Standard im Büro, an den ich mich angepasst hatte, war nunmal ein anderer.
Also, zusammenfassend:
Sie ist eindeutig rechthaberisch, furchtbar schnippisch – aber auch nur ein Mensch. Ich weiß noch nicht, wie ich mich mit dieser Frau auf Dauer arrangieren werde. Aber es ist in jedem Fall spannend, mit ihr auszukommen. Ich sehe solche komplizierten, zwischenmenschlichen Beziehungen (die gewöhnlich nur aufgrund äußerer Umstände aufrecht erhalten werden, weil der Mensch Konfliktpotenzial nunmal gerne aus dem Weg geht) gewissermaßen als Herausforderung an. Wenn ich nicht an diesen Personen arbeiten kann, so kann ich doch an mir arbeiten, meine Handlungsoptionen und mein Reaktionsrepertoire ausschöpfen und vor allem langsam ausweiten. Mein mondänes Lebensziel sind mein Mann, ein Haus, ein paar Kinderchen und vielleicht ein bisschen Karriere. Glücklich sein, glücklich werden.
Mein „abgehobenes“ (wie eine schwebende Seele abgehoben) Lebensziel ist, alt und weise zu werden. Ich wäre gerne einmal eine Oma, die diese Geistigkeit der Jugend, das Suchen nach dem „Mehr“ bewahrt hat. Jemand, mit dem man über alle Altersgrenzen hinweg über Gott und die Welt philosophieren kann. Und die viel Kluges, Gutes zu erzählen weis, sich aber dennoch nicht dem Anderen, Neuen gegenüber verschließt. Ich wäre gerne einmal weise.